Wertschätzung im Bewerbungsprozess

Wenn Personalabteilungen mit Bewerberinnen und Bewerbern mangelhaft kommunizieren, dann ist das ein klares Zeichen geringer oder überhaupt nicht vorhandener Wertschätzung. Es zeigt aber noch mehr: Unkenntnis in Sachen Employer Branding. Aber auch wer nach einer Stelle sucht verhält sich manchmal unterirdisch.
Veröffentlicht am 06.09.2023
Wertschätzung im Bewerbungsprozess

Was sich auf Bewertungsportalen für Arbeitgeber manchmal finden lässt, ist wirklich erschreckend. Beispiele gefällig?

Ein Key Account Manager Maschinenbau, der vom Recruiter eines Unternehmens zur Bewerbung aufgefordert wurde, dass Schneidmaschinen für die Lebensmittelindustrie herstellt, schreibt, der Erstkontakt sei angenehm gewesen und er habe das Feedback „interesting match“ bekommen. Nachdem die Bewerbungsunterlagen gesendet waren, gab es keine Rückmeldung. Der Bewerber fragte nach, bekam einen Telefontermin und dann hieß es, aus der Fachabteilung habe es negatives Feedback gegeben, sein Profil passe nicht zur Stelle. Da das exakt das Gegenteil der Aussage des Recruiters war ist es kein Wunder, dass der Bewerber „mangelnde Wertschätzung“ empfindet und seine Beurteilung mit den Attributen „unterirdisch und peinlich“ für Bewerbung und Umgang mit dem Bewerber versieht. Bei manchen Firmeneinträgen auf Arbeitgeberportalen werden gar mehrfach und offenbar von verschiedenen Menschen mangelnde Wertschätzung im Bewerbungsprozess, fehlende Eingangsbestätigungen, keine oder sehr späte Absagen mit Standardfloskeln kritisiert.

Nun gibt es auf Arbeitgeberbewertungsportalen das gleiche Problem wie bei anderen Bewertungsmöglichkeiten: Die Einträge lassen sich nicht überprüfen. Da mag auch mal der Ärger über eine Absage aus einem völlig beanstandungsfreien Bewerbungsprozess ein totales Desaster machen. Aber absichtliche Falschbewertung und übertriebene Kritik dürften eher eine Ausnahme sein und der Großteil der Einträge mehr oder minder den Tatsachen entsprechen. Für Unternehmen ein erhebliches Problem, denn Beschäftigte holen vor einer Bewerbung häufig Erkundigungen über das Unternehmen ein. Sind die Bewertungen so negativ, wie die geschilderten Beispiele, kann das ein Grund sein, von einer Bewerbung Abstand zu nehmen.

Bewerber:innen mangelnde Wertschätzung entgegen zu bringen, kann sich vor diesem Hintergrund zum echten Nachteil für Unternehmen und ihre Arbeitgebermarke erweisen. Es passt nicht zusammen, sich über Bewerbermangel zu beklagen, aber sich selbst als Unternehmen zu präsentieren, dass es an elementarsten Umgangsformen mangeln lässt. Wer das abstellen möchte, sollte nach den Gründen fragen. Bei schlechter Performance im Bewerbungsprozess könnten mangelhafte Strukturen, zu geringe personelle Ausstattung oder fehlendes Bewerbermanagement Gründe sein. Was auch immer dahinter steckt: Es lässt sich ändern. Das demonstriert der Eintrag eines Unternehmen aus der Raiffeisen-Familie auf einem Arbeitgeberbewertungsportal: Dort urteilte ein Bewerber Ende 2022, das Unternehmen sei unprofessionell, er habe trotz Nachfrage keine Absage bekommen. Ein gutes halbes Jahr später bewertet ein anderer abgelehnter Bewerber das Unternehmen fast mit Bestnote. Die Reaktionen seien schnell und nachvollziehbar gewesen und er wünsche sich, jede Firma würde mit Bewerbern so umgehen. Solch ein Statement zahlt auf das eigene Employer Branding vermutlich mehr ein als ein komplettes Projekt zur Verbesserung der eigenen Arbeitgebermarke.

Aber auch so manche Bewerberin und Bewerber verhalten sich nicht gerade vorbildlich. Die Verbindlichkeit hat nachgelassen, die Vertragsunterzeichnung wird gerne hinausgezögert, weil vielleicht noch andere Bewerbungen laufen und selbst ein unterschriebener Arbeitsvertrag ist keine Garantie dafür, dass Beschäftigte ihre Stelle auch antreten – oder rasch wieder kündigen, weil etwas noch besseres vorbeigekommen ist. Auch das ist kein gutes Verhalten und misslich für Unternehmen, die Ressourcen in ihr Recruiting investieren. Aber es gibt zwei sehr große Unterschiede: Bislang ist nicht bekannt, dass es vergleichbare Bewertungsportale auch für Beschäftigte gibt. Das wäre aus Datenschutzgründen kaum machbar und würde zudem wenig ändern: Wenn jemand ein auf dem Arbeitsmarkt stark gesuchtes Profil hat, wäre diese Person vermutlich auch mit einer schlechten Bewertung noch attraktiv. Denn, und das ist der zweite große Unterschied: Heute sind die meisten Betriebe mehr auf Bewerber:innen angewiesen als umgekehrt.