Recruiting durch Computerspiele?
Computerspiele haben für viele Menschen noch immer einen zweifelhaften Ruf: Männliche Jugendliche ohne Sozialleben zocken brutale Baller-Spiele und die Gesellschaft darf froh sein, wenn sie diese nicht mittels Amok-Lauf in das reale Leben übertragen. So zugespitzt ist es zwar nicht immer, aber Spielsucht oder zu viel Zeit vor dem PC und andere negative Sichtweisen dominieren oft. Auch im Alltag sehen viele Menschen das Daddeln am PC oder Smartphone oft nur als Zeitfresser und raten Kindern oder Lebenspartnern, „doch lieber etwas vernünftiges anzufangen“.
Diese Sichtweisen sind im Jahr 2023 veraltet und auch wenn es auf den ersten Blick verrückt klingt – es ist möglich, einen Weg zu finden von der Landwirtschaftssimulation in die Agrarwirtschaft. Computerspiele sind in den letzten Jahrzehnten von grob-pixeligen Grafiken zu hochkomplexen Programmen geworden. Und sie sind weit in der Gesellschaft verbreitet: 54 Prozent der Deutschen spielen gelegentlich. Das Durchschnittsalter deutscher Gamer und Gamerinnen liegt bei fast 40 Jahren, fast die Hälfte von ihnen ist weiblich und ein Anteil von wahrscheinlich fast einen Drittel hat einen Hochschulabschluss. Diese Zahlen stammen von der Frankfurter Agentur „The metagame AI“, die Unternehmen beim Recruiting und bei der Mitarbeiterbindung mittels Gaming und E-Sport unterstützen will.
Denn Gamer, die auf hohem oder gar professionellem Niveau spielen, brauchen dafür viele Fähigkeiten, an denen auch Unternehmen sehr interessiert sind. Das fängt an bei IT-Kenntnissen, auch im Programmierbereich, und setzt sich fort zu wichtigen übergeordneten Fähigkeiten wie etwa gutem Teamgeist, hoher Motivation, Einsatz- und Leistungsbereitschaft, guter Kommunikationsfähigkeit, Stärken beim logischen, strategischen und analytischen Denken bis hin zur Bereitschaft, sich oft und schnell in neue Themen einzuarbeiten und neue Fähigkeiten zu lernen. Dieses Persönlichkeitsprofil ist für Aufgaben im mittleren und höheren Managements beispielsweise im Agrarhandel oder der Maschinentechnik und in vielen anderen Bereichen der Agrarwirtschaft höchst attraktiv.
Aber wie können Unternehmen sich Gamer:innen als Fachkräfte erschließen? Der erste wichtige Schritt: Offenheit dafür in Personalabteilung und Management herstellen. Ein weiterer kann das Auftreten als Sponsor von E-Sport-Ligen oder Turnieren sein, so wie es beispielsweise der Hersteller von Berufsbekleidung Engelbert Strauss macht oder der Handelskonzern Otto. Der führende deutsche und europäische E-Sport-Wettbewerb wird von bis zu 300.000 Zuschauer:innen verfolgt, ein enormes Potenzial. Auch ein E-Sport-Turnier in der Belegschaft kann helfen – bei den eigenen Employer Branding-Aktivitäten und um Gamer als Botschafterinnen für die eigene HR zu gewinnen. Manche Unternehmen setzen auf E-Betriebssport-Vereine zur Mitarbeiterbindung, zur Imagepflege und um in Kontakt mit potenziellen Fachkräften zu kommen. Die Agentur metagame AI wirbt damit, dass beim Spielen „der wahre Charakter“ von Menschen hervorkomme, während Assessment Center die Bewerber und Bewerberinnen eher zum Theaterspielen verleite. Und auch wenn hier viel von E-Sports die Rede ist – es gibt auch andere Möglichkeiten wie etwa Rollenspiele im Bewerbungsprozess oder Escape Rooms als Teambuilding-Event. Aber natürlich haben digitale Angebote auch beim Gaming viele Vorteile – warum nicht eine Landwirtschaftssimulation nutzen, um Bewerbern und Bewerberinnen in einem ersten, niedrigschwelligen Schritt eines Bewerbungsverfahrens Test-Aufgaben zu stellen? An deren Lösung lassen sich sowohl fachliche, wie übergeordnete Fähigkeiten einer ersten Beurteilung unterziehen. Eingangstests können so sehr viel attraktiver für Kandidatinnen und Kandidaten werden. Selbstverständlich gibt es auch für Landwirtschafts-Simulationen bereits ein E-Sport-Event und verschiedene Farm-Simulationen stehen regelmäßig auf vorderen Plätzen der meistverkauften oder genutzten Computerspiele. Der Landwirtschaftssimulator von Giant Software hat mittlerweile eine eigene E-Sports-Liga, gesponsort unter anderem von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), einem Unternehmen aus dem Bereich Dünge- und Pflanzenschutzmittel und einem Magazin für Landtechnik.