Bewerbung ohne Vorurteile
Anonyme Bewerbung, das klingt auf den ersten Blick absurd. Denn bei der Personalsuche geht es doch gerade darum, Kandidaten und Kandidatinnen für eine Stelle kennenzulernen. Tatsächlich aber kann diese Methode nicht nur zu mehr Diversität im Unternehmen führen, sondern auch zu besseren Erfolgsquoten im Recruiting.
Gute Recruitingarbeit versucht, mit möglichst geringem Mitteleinsatz eine hohe Qualität an Personalnachschub für das Unternehmen zu erzeugen, idealerweise möglichst passgenau (zeitlich und von den Qualifikationen her) zum jeweils vorhandenen Bedarf. Auch deshalb verbreiten sich standardisierte Bewerbungs- und Auswahlverfahren in den Personalabteilungen seit Jahren. Ein noch recht junges und umstrittenes Verfahren ist die vollständig anonymisierte Bewerbung. Aber wer darüber nachdenkt, erkennt schnell, dass es Vorteile haben kann, den ersten Schritt im Bewerbungsverfahren anonym durchzuführen: Damit rücken die Qualifikationen von Menschen in den Vordergrund, nicht persönliche Merkmale wie etwa Herkunft (über Familiennamen), Alter oder Geschlecht, Wohnort oder der Status als Alleinerzieherin und was sonst noch alles zu einer vorgefassten und ablehnenden Meinung führen kann.
Natürlich wollen Personalerinnen und Personaler diskriminierungsfrei agieren. Aber wer ehrlich die eigene Einstellungspraxis analysiert, wird dort sehr oft jüngere weiße Männer in der Überzahl finden. Hingegen sind Menschen mit einer Migrationsgeschichte in der Familie (selbst wenn die bereits einige Generationen zurückliegt), Frauen sowie ältere, kranke, behinderte Menschen oder solche mit anderen Besonderheiten unterrepräsentiert. Es gibt verschiedene Gründe dafür, aber Studien belegen eben auch diskriminierende Einstellungen als einen davon. Das muss nicht bewusst geschehen, sondern kann im Gegenteil auch unbewusst sogar dort stattfinden, wo auf diskriminierungfreies Vorgehen geachtet wird, zeigt eine Studie aus Frankreich. In Deutschland gibt es seit rund zehn Jahren Pilot- und Forschungsprojekte zu anonymen Bewerbungsverfahren, die zu belastbaren Ergebnissen geführt haben, beispielsweise 2012 von der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina sowie dem Institut zur Zukunft der Arbeit. Hier wurden 8.550 anonyme Bewerbungen untersucht. Eine zweite, kleinere Studie wurde im Anschluss in Baden-Württemberg durchgeführt. Die Studien zeigen, dass mit anonymen Verfahren zwar ein etwas höherer Aufwand für die Personalabteilung und ein leichter Rückgang der Bewerbungszahlen verbunden ist, dies aber nicht zwangsläufig ein Nachteil sein muss. Denn die Qualität der Bewerbungen steigt. Zudem wurde der Auswahlprozess beschleunigt, im Hinblick auf die Zeit und Kosten für eine Anstellung kein unwesentlicher Faktor. Ein Teil der Personalabteilungen berichtete von positiven Effekten auf das Employer Branding des Betriebes. Weiterer Nebeneffekt: Anonyme Bewerbungen bieten hohe Rechtssicherheit im Hinblick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und sind sehr viel besser vereinbar mit internationalen Bewerbungsstandards. Kein kleiner Vorteil bei globaler Rekrutierung. Aus Sicht befragter Bewerber boten anonyme Bewerbungen meist weniger oder vergleichbaren Aufwand bei tendenziell höherem Erfolg.
Anonyme Bewerbung – Das Vorgehen
Weil im ersten Schritt alle Hinweise auf persönliche Merkmale unterbleiben sollen, entfallen Foto, Motivationsschreiben und Zeugnisse. Statt dessen braucht es ein standardisiertes Bewerbungsformular, dass möglichst genau auf die Erfordernisse des Unternehmens und der zu besetzenden Stelle ausgerichtet ist. Natürlich auch eine Kontaktmöglichkeit, also irgendeine Registrierung über Mail oder Telefonnummer, um ausgewählte Kandidatinnen und Kandidaten im zweiten Schritt dann zur Abgabe weiterer Unterlagen und/oder zum Vorstellungsgespräch zu laden. Sinn dieses Vorgehens ist es, Personalverantwortlichen ausschließlich stellenbezogene Informationen zu geben. So können die Objektivität beim Vergleich steigen, höhere Qualität und schnellere Entscheidung erreicht werden. Zur Vorbereitung des Gesprächs werden dann die vollständigen Unterlagen angefordert, das ganze Potenzial der anonymisierten Bewerbung kann aber nur ausschöpfen, wer zwischen anonymen Daten und Gespräch nicht noch eine weitere Entscheidungsrunde setzt. Also die Entscheidung zur Einladung ausschließlich auf Basis der anonymen Fragebögen trifft. Denn Studien zeigen, dass bewusste oder unbewusste Vorurteile im persönlichen Gespräch viel leichter abgebaut werden als beim Studium von Unterlagen. Und ob Bewerber:innen zur Stelle passen, wurde ja grundsätzlich schon anhand der Fragebögen entschieden. Alternativ zu einem Online-Formular wäre noch ein per Post, Mail oder Download versandtes, standardisiertes Formular denkbar und auch eine Schwärzung oder Abtrennung personenspezifischer Stellen in herkömmlichen Bewerbungen. Die letzten beiden Varianten verursachen allerdings einen hohen Aufwand und sind bei größeren Mengen eingehender Bewerbungen kaum praktikabel.
Leitfaden für Arbeitgeber von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes