Die Vorteile einer gepflegten Fehlerkultur
Viele Viehbetriebe beschäftigten sich mit dem Thema Um- oder Neubau des Stalls. Ein Trend, der durch steigende Anforderungen an Tierwohl, die Digitalisierung, den Einsatz von Robotern und durch neue Betriebsweisen begünstigt wird. Häufig begangene Fehler hierbei sind eine Standortwahl, die an den bestehenden Gebäuden orientiert ist anstatt am optimalen Betriebsablauf, Gülleseen als Folge zu weniger Abwurfschächte oder Sackgassen durch falsch geplante oder dimensionierte Laufwege. Ist der Stall erst fertig, sind solche Fehler kaum oder nur mit hohem Aufwand zu korrigieren. Die Folge: jahre- und jahrzehntelange schlechte Arbeitsbedingungen und auch wirtschaftliche Einbußen – wenn beispielsweise häufiger Klauenkrankheiten auftreten und deshalb mehr Geld für Tierärzte oder Medikamente ausgegeben werden muss. Oder wenn die Milchleistung darunter leidet, dass die Kühe häufig im Stau stehen.
Wie kann hier eine Fehlerkultur helfen? Im Vorfeld, also bevor sehr viel Beton im neuen Stall verfestigt ist. Eine gute betriebliche Fehlerkultur führt auch dazu, dass handelnde Akteure nicht automatisch davon ausgehen, dass sie immer alles richtig machen. Sondern umgekehrt annehmen, dass stets Fehler passieren können. Mit so einem Bewusstsein schaut man sich seine Vorhaben meistens sehr viel genauer und kritischer an und ist damit eher in der Lage, Fehler zu erkennen bevor es zu spät ist. Und natürlich hilft eine Fehlerkultur dabei, gemachte Fehler nicht zu wiederholen.
Beispiel Getreideanbau: Die Saattiefe ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Kultur. Allerdings ist die korrekte Saattiefe abhängig von Faktoren, die nicht jedes Jahr gleich sind, insbesondere von der Bodenfeuchtigkeit zum Saatzeitpunkt. Stellt sich bei der Ernte heraus, dass die Erträge unter der Erwartung sind, weil Mitarbeiter die Saat zu tief oder zu flach ausgebracht haben, können Betriebsleiter auf unterschiedliche Weise reagieren: Wütend werden und den verantwortlichen Mitarbeiter zusammenstauchen. Mutmaßliches Ergebnis: Beide Seiten sind unzufrieden und der Betreffende wird beim nächsten Fehler höchstwahrscheinlich Maßnahmen treffen, um nicht als Verursacher erkannt zu werden. Im Sinne einer positiven Fehlerkultur wäre es hingegen, den Fehler und seine Folgen ruhig und besonnen zu besprechen, um Konsequenzen zu ziehen – dieser Umgang wird eher dazu führen, dass der Betreffende beim nächsten Fehler kein Problem damit hat, ihn mit der Leitungsebene zu besprechen.
Eine gute Fehlerkultur entsteht im Betrieb nicht von alleine. Forschung zum Thema zeigt: Hier hat das Verhalten der Betriebsführung den entscheidenden Einfluss. Deshalb ist die wichtigste Maßnahme, dass „von oben“ klar vermittelt wird, dass Fehler passieren können und es nicht schlimm ist, wenn ein Fehler passiert. Diese Botschaft darf aber nicht nur bei Schönwetter gesendet, sondern muss dann auch umgesetzt werden. Insbesondere sollten Betriebsleiter eigene Fehler betriebsöffentlich kommunizieren – es gibt kaum einen besseren Weg um die Beschäftigten zum Eingeständnis eigener Fehler zu ermutigen.
Treten wiederkehrende Fehler auf, liegt es in der Verantwortung der Betriebsführung, nach möglichen strategischen/strukturellen Ursachen zu suchen anstatt die Beschäftigten verantwortlich zu machen. Letztlich hängt eine gute Fehlerkultur mit dem im Betrieb herrschenden Menschenbild eng zusammen: Eine positive und ermutigende Grundeinstellung zur Belegschaft wird bei dieser eher zur Bereitschaft, Fehler einzugestehen führen. Das bedeutet auch die Abkehr von Perfektionismus – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn wo Menschen arbeiten passieren immer Fehler. Das ist selbst in lebenskritischen Bereichen wie etwa der Luftfahrt oder bei Operationen im Krankenhaus so. Michael Frese, Professor für Psychologie, Innovationsforschung und Entrepreneurship an den Universitäten Lüneburg und Singapur, beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema und sagt, dass Menschen im Schnitt zwei bis vier Fehler pro Stunde machen. Natürlich sind die nicht alle geschäftskritisch. Aber Betriebe, die an ihre Beschäftigten den Anspruch perfekter Arbeit haben, erhalten höchstwahrscheinlich nur eine Vertuschungskultur. Wer hingegen „nur“ bestmögliches Arbeiten verlangt und Offenheit gegenüber Fehlern demonstriert, erntet viel eher motivierte und leistungsbereite beschäftigte, die keine Scheu haben, zum Chef zu gehen und Fehler zu melden. Das ist die Voraussetzung, aus ihnen zu lernen und besser zu werden – und das wollen wir schließlich alle.