Wann gelten Geschäftsführer als Arbeitnehmer?

Sind der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin eines Unternehmens dessen Angestellte? Und gelten sie als Arbeitnehmer? Was wie eine einfache Fragestellung aussieht, birgt tatsächlich viele Fallstricke. Denn die Antwort ist nicht eindeutig. Das Bundesarbeitsgericht hat nun ein Urteil gefällt, dem zufolge die Arbeitnehmereigenschaft möglich ist.
Veröffentlicht am 01.08.2024
Wann gelten Geschäftsführer als Arbeitnehmer?

Wer die Angestellten eines Unternehmens befragt, ob der Chef oder die Chefin ein Arbeitnehmer sei, wird selten ein „Ja“ zur Antwort erhalten. Geschäftsführer sind die Chefin, der Boss, die oberste Leitung des Unternehmens und damit grundsätzlich verschieden von dessen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Denn sie entscheiden die grundlegenden Leitplanken, an denen sich das Unternehmen orientiert und Kurs hält. Geschäftsführung und Top-Management bestimmen, was im Betrieb läuft.

Allerdings offenbart ein Blick in die rechtliche Seite, dass die Lage komplexer ist. Beim deutschen Arbeitsrecht ist es noch eindeutig: Die Geschäftsführung ist ein Organ des Unternehmens und übt kraft dieser Organstellung ein Direktionsrecht aus. Deshalb ist Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der Weg an das Arbeitsgericht im Normalfall verwehrt, sie gelten nicht als Arbeitnehmer. Ähnlich im Gesellschafts- und Zivilrecht: Geschäftsführer werden in der Regel als Arbeitgeber eingestuft und als Organ der juristischen Person, die das Unternehmen darstellt.

Schaut man hingegen auf das Sozial- und Steuerrecht, wird die Frage der Stellung von Geschäftsführungen schon komplexer. Das Bundessozialgericht beispielsweise vertritt die Auffassung, dass das Unternehmen als juristische Person Arbeitgeber aller Beschäftigten sei, also auch der Geschäftsführung, selbst bei Alleingesellschaftern als Geschäftsführern. Also in Konstellationen, in denen der alleinige Geschäftsführer zugleich auch Eigentümer aller Anteile am Unternehmen oder zumindest dessen Mehrheit ist. Sogenannte Fremdgeschäftsführer, die am Kapital der Gesellschaft nicht beteiligt sind, gelten hier automatisch als Arbeitnehmer. Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer können also sozialversicherungspflichtig sein und nicht-selbstständige Einkünfte laut Einkommenssteuergesetz erzielen.

In diese komplizierte Gemengelage fügt sich ein Urteil ein, das vom Bundesarbeitsgericht 2023 gefällt und kurz vor dem Jahreswechsel veröffentlicht wurde. Demnach kann eine Geschäftsführerin wie eine Arbeitnehmerin nach dem Bundesurlaubsgesetz einen Urlaubsabgeltungsanspruch haben. Das entscheidende Kriterium, ob die klagende Geschäftsführerin einer GmbH für diesen Sachverhalt als Arbeitnehmerin anzusehen war oder nicht, ist ähnlich wie bei den schon zuvor genannten Rechtsbereichen: Auf Grund ihrer faktischen Arbeitsbedingungen und der fehlenden Kapitalbeteiligung war die klagende Ex-Geschäftsführerin laut Gericht als Arbeitnehmerin einzustufen. Ihr Dienstvertrag sah beispielsweise feste Arbeitszeiten vor, schrieb ihr Tätigkeiten im Detail vor inklusive eines festen Kontingents an Telefonaten und Besuchen in der Woche, die nachgewiesen werden mussten, und legte die Zahl der Urlaubstage im Jahr fest.

Angesicht so detaillierter Weisungen zur Durchführung ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin sei die Frau als Arbeitnehmerin einzustufen, urteilte das Bundesarbeitsgericht. Der Entscheidung wird eine hohe Bedeutung für die Praxis zugebilligt, denn die Begründung lässt sich auf viele sogenannte Fremdgeschäftsführer anwenden. Ausgeschlossen ist eine Übertragbarkeit jedoch auf Geschäftsführer, denen das Unternehmen, das sie führen, vollständig oder mehrheitlich gehört bzw. die zumindest eine Sperrminorität haben.

 

Bundesarbeitsgericht: Arbeitnehmerbegriff im Urlaubsrecht – Fremdgeschäftsführer einer GmbH, 9 AZR 43/22
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9-azr-43-22/