Wenn Unterforderung krank macht

Die Gefahren des Boreouts werden meist verkannt.
Veröffentlicht am 18.12.2024
Wenn Unterforderung krank macht

Das Gegenteil vom Burnout, der Boreout, macht weniger Schlagzeilen – ist aber für Unternehmen und Beschäftigte ebenso schädlich. Betriebe vergeuden durch Unterforderung das Potenzial ihrer Beschäftigten, wofür sich ein neues Schlagwort ausbreitet: Quiet Potential Loss, also stiller Potenzialverlust. Er mindert den Erfolg von Unternehmen und gefährdet die Gesundheit der Beschäftigten ebenso wie sein Gegenteil. Was können Betriebe tun, um die verborgenen Potenziale in der Belegschaft zu heben? 

Es gibt viele Ursachen für den heimlichen Potenzialverlust, und die meisten liegen bei den Unternehmen. Strukturen und Hierarchien sind zu starr und eingefahren, nicht auf die Beschäftigten ausgerichtet. Stellenbeschreibungen sind oft unzureichend. Kreativität und Eigeninitiative zählen weniger als Pflichterfüllung und Gehorsam. Fachkräften wird zu wenig Entwicklungspotenzial geboten, weshalb sie irgendwann in Führungspositionen drängen, für die sie aber vielleicht nicht geeignet sind. Fort- und Weiterbildungen werden als Kostentreiber denn als Chance gesehen. Insgesamt steht im Handeln des Unternehmens, seiner Personalabteilung und Führungskräfte der Mensch nicht im Mittelpunkt.

Was eigentlich sind verborgene Potenziale? Wenn ein gelernter Automechaniker als Fahrer beim Landtechnikhändler eingestellt wird und niemand erkennt dessen Potenzial, die Geräte nicht nur zu fahren, sondern auch zu warten. Wenn Sachbearbeiter beim Agrarhändler sich privat als Hobby mit dem Programmieren beschäftigen, aber für Änderungen am Code der Unternehmenswebseite teure Dienstleister beauftragt werden. Wenn Beschäftigte in ihrer Freizeit hoch engagiert Streuobstwiesen pflegen und der Agrarbetrieb händeringend Fachleute für Agroforst sucht. Es lassen sich viele Beispiele ausdenken.

Die Folgen für die Unternehmen liegen auf der Hand – es wird Geld ausgegeben oder es werden Geschäftsgelegenheiten nicht genutzt, obwohl die nötigen Skills schon im Betrieb sind. Aber das sind nur die offensichtlichen Folgen. Denn unterforderte Beschäftige machen vielleicht irgendwann nur noch Dienst nach Vorschrift, wenn sie sich zu sehr langweilen. Oder suchen sich gleich interessantere Aufgaben bei anderen Unternehmen. Und wenn der Boreout sie krank macht, verursacht das Kosten und Aufwand.

Deshalb sollten Unternehmen regelmäßig mit ihren Beschäftigten darüber sprechen, wie ihnen ihre Arbeit aktuell gefällt und was verbesserungswürdig erscheint. Dies natürlich in einer Atmosphäre, die Beschäftigte aktiv dazu ermuntert, sich für neue Aufgaben ins Gespräch zu bringen. Fort- und Weiterbildung sollte nicht nur zähneknirschend gewährt, sondern aktiv gefördert werden. Kurz: Arbeitsumfeld und Führungskräfte müssen so aufgestellt sein, dass Beschäftigte dazu ermutigt statt abgeschreckt werden, ihr volles Potenzial zu offenbaren. Dazu gehört auch, dass die Personalabteilung Fort- und Weiterbildungen sowie Bildungsurlaube protokolliert, auswertet und idealerweise sogar für regelmäßige Potenzialermittlungen aktiv auf die Belegschaft zugeht. Ehrliches Interesse an den Beschäftigten, so lässt sich dieser Ansatz zusammenfassen. Talent Mapping, Leistungsbeurteilungen, Mentoring und insgesamt eine beschäftigtenzentrierte Arbeitskultur können den Krankenstand und die Fluktuation senken und das verborgene Potenzial der Beschäftigten heben. Ja, das bedeutet Aufwand und Mühe, aber es fördert Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Betriebs – ganz ohne Einarbeitungszeit für neue Angestellte. Denn wenn unterforderte Beschäftigte wegen psychischen Problemen länger krank sind oder gar das Unternehmen verlassen, ist der Aufwand für das Recruiting meistens höher.