Zwischen Kind und Karriere
Das Bundesamt für Statistik hat eine repräsentativ ausgewählte Gruppe befragt, wie viel Eltern arbeiten sollten – und zwar in Szenarien mit Kindern unterschiedlichen Alters. Die Deutschen sind sich demnach einig: Väter sollten weniger arbeiten, Mütter dafür mehr. Theoretisch könnte das mehrere 100.000 Arbeitskräfte für die Wirtschaft bringen.
Die Studie des Statistischen Bundesamtes hat die Idealvorstellungen der 18- bis 50-Jährigen mit den tatsächlichen Arbeitszeiten von Müttern und Vätern verglichen und eine große Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit gefunden. In fast allen Szenarien lag die durchschnittliche Arbeitszeit von Müttern unter dem Wert, den die repräsentative Umfrage als erwünscht herausgefunden hat. Bei Vätern ist es fast immer umgekehrt, sie arbeiten mehr, als die Befragten es für wünschenswert halten.
Die Studie – es handelt sich um den Sozialbericht der Bundeszentrale für politische Bildung – wurde in Kooperation mit dem Statistischen Bundesamt, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung erstellt. Die Kluft zwischen dem Ideal aus der Befragung und den realen Arbeitszeiten ist erheblich und birgt enormes Potenzial im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Dass die Väter mehr arbeiten als in der Idealvorstellung kann nämlich nicht ausgleichen, dass Mütter insbesondere von Kindern älter als sechs Jahre sehr viel weniger arbeiten. Mehr als 590.000 Vollzeitäquivalente kämen auf den Arbeitsmarkt, würden Mütter nach der Rushhour des Lebens so viel arbeiten, wie es die Deutschen als ideal ansehen. Würden Väter weniger arbeiten, fielen dadurch 320.000 Vollzeitstellen weg – bliebe unter dem Strich rechnerisch ein Plus von rund 325.000 Vollzeitstellen. Dies ist die sogenannte Teilzeitlücke – Mütter sehr kleiner Kinder arbeiten oft nicht oder nur sehr wenig, weil es anders kaum möglich ist. Finden dann aber später, wenn die Kinder größer sind und die Mütter eigentlich mehr arbeiten könnten, keine passenden Stellen, stecken in der Teilzeitfalle. Bekommen in der Folge dann auch weniger Rente, sind in höherem Maße ökonomisch abhängig.
Die Rechnung ist hypothetisch, natürlich kann niemand sicherstellen, dass im Falle idealer Arbeitszeiten auch tatsächlich immer passende Jobs gefunden werden. Sie zeigt aber das Potenzial und sie könnte für Unternehmen ein Denkanstoß sein, sich mehr auf die Bedürfnisse von Eltern und insbesondere Müttern einzustellen. Aber auch auf die von Vätern, denn deren Wunsch, gerade in der frühen Phase ihrer Vaterschaft weniger zu arbeiten, manifestiert sich in der Umfrage ja auch. Unternehmen, die den realen Wünschen von Müttern und Vätern nahe kommen, entsprechende Arbeitszeitmodelle anbieten und diese Bemühungen auch via Stellenanzeige und darüber hinaus kommunizieren, können sich Vorteile verschaffen im Kampf um knappe Fachkräfte. Unternehmen sollten für die passende Flexibilität sorgen, also beispielsweise für Eltern die unkomplizierte Möglichkeit zur vorübergehenden Reduzierung der Arbeitszeit bieten, ohne dass das zu Einbußen beim Einkommen oder der Karriere führt. Und es bietet sich ebenfalls an, in Teilzeit arbeitende Mütter mit Kindern älter als 6 bis 8 Jahre gezielt für Stundenaufstockungen anzusprechen. Die Bereitschaft dazu ist vorhanden und Betriebe können sich so unkompliziert und ohne große Rekrutierungsanstrengungen ein Arbeitskräftepotenzial erschließen.