Wenn Perfektion schadet

Auf Fragen wie „Welche Schwächen haben sie“ oder „Welche Eigenschaften sind bei Ihnen besonders ausgeprägt“ im Vorstellungsgespräch soll auf keinen Fall der eigene Perfektionismus genannt werden. Dieser Tipp hat einen einfachen Grund: Perfektionismus wirkt unglaubwürdig und unsympathisch.
Veröffentlicht am 31.10.2024
Wenn Perfektion schadet

Und das ist tatsächlich nicht unberechtigt, aus verschiedenen Gründen: Menschen, die ALLES IMMER perfekt haben wollen, sind oft nicht die beliebten Kolleginnen und Kollegen im Team. Sich hohe Ziele zu setzen motiviert und fordert heraus, fördert die Karriere und freut Vorgesetzte und Team – wenn es in sozial verträglicher Weise geschieht. Jeder Landwirt möchte viel Ertrag aus dem Acker holen und deshalb möglichst exakt säen und Flächen optimal nutzen. Wenn die neu entwickelte Landmaschine Top-Leistung bringt, freut das die Ingenieurin beim Landtechnikhersteller – samt Team und Unternehmen. Wenn der Weizen zum Höchstpreis verkauft werden konnte, ist das super für die Bilanz im Agrarhandel.

Aber wir alle wissen, dass Menschen Fehler machen. Die Hand am Lenkrad ruckelt kurz, schon sitzt die Furche etwas schief. Im internationalen Agrarhandel sind es oft nur Sekunden, die den perfekten Preis bieten. Wer dann auf der Toilette ist und eben nicht zum Höchstpreis verkauft, sondern kurz vor oder nach dem Peak, der hat vielleicht ein sehr gutes, aber nicht das perfekte Ergebnis erzielt. Die meisten Menschen, Teams, Führungskräfte und Unternehmen wissen, dass es im Leben so läuft. Aber es gibt Menschen, die es nicht vertragen, wenn ihre hohen Ansprüche an sich selbst (und oft auch an andere) scheitern. Die dann unzufrieden werden. Und, weil der perfekte Preis und die perfekte Furche eben eher die Ausnahme als die Regel sind, sehr oft oder gar ständig unzufrieden sind.

Das wird zu einem richtigen Problem, so eine Studie der Universität Marburg. Denn wer derartig perfektionistisch ist, erlebt als Folge sehr viel Stress, schläft schlechter und weniger und wird, wenn das zu lange geht, auch schlechtere Leistung bringen. Perfektionismus – genauer: falscher oder übersteigerter – kann dazu führen, dass die eigenen Leistungen und Ergebnisse schlechter statt besser werden. Dies gilt, so die Marburger Studie, vor allem für jene Menschen, die ihre Aufgabe deshalb perfekt erledigen wollen, weil sie ihren Führungskräften gefallen möchten. Denn das kann dazu führen, dass man Aufgaben vor sich her schiebt aus Sorge, sie nicht perfekt zu erledigen. Als Folge entsteht Zeitdruck und Stress. Weitere Folgen falschen Perfektionismus können Probleme im Team sein, denn perfektionistische Menschen haben oft Konflikte und Probleme in der Zusammenarbeit. Und es kann dazu führen, dass nichts mehr delegiert wird, weil man selbst es ja perfekt machen will. Dann droht Überforderung.

Es lohnt also durchaus, sich mit dem eigenen Perfektionismus auseinanderzusetzen. Hinweise auf einen falschen, übersteigerten Perfektionismus können beispielsweise sein, wenn man unter der Nicht-Erfüllung von Zielen außergewöhnlich stark leidet. Wenn andere Menschen mich auf meine hohen Standards oder Ziele ansprechen. Wenn ich nicht gut Verantwortung abgeben kann, ständig kontrolliere, nicht auch einmal Fünfe gerade sein lassen kann. Diese Anzeichen können auch andere Ursachen haben. Aber wenn die ehrliche Selbstbetrachtung vermuten lässt, es könne etwas mit den eigenen Zielen zu tun haben, wenn zusätzlich der Schlaf oder die Beziehungen im Team gestört sind, dann sollte man sich fragen, ob es da Zusammenhänge gibt. Und vielleicht auch Hilfe in Anspruch nehmen – das muss nicht gleich psychologische sein, vielleicht reicht fürs Erste auch ein gutes Coaching oder Mentoring.