Resturlaub darf nicht einfach verfallen
2023 ist bei der Urlaubsplanung arbeitnehmerfreundlich, denn viele Feiertage liegen sehr günstig für Beschäftigte. Der beliebte Sport „Brückentage mit Urlaub zu maximaler Freizeit verbinden“ dürfte stark gefragt sein. Es geht aber auch anders herum: Manche Beschäftigte sammeln gerne Urlaub an, um sich diesen irgendwann auszahlen zu lassen oder längere Zeit am Stück frei zu machen. Einen extremen Fall dieser Varianten hat kürzlich der Europäische Gerichtshof entschieden. Eine Angestellte einer Steuerkanzlei hatte 2011 begonnen, Urlaubstage zu sammeln. Zunächst mit Erlaubnis des Arbeitgebers, weil sehr viel zu tun war. Aber auch in den folgenden Jahren sammelte die Frau Urlaubstage, bis sie schließlich nach ihrem Ausscheiden 2017 ihren Urlaubsanspruch geltend machte. Sie wollte 101 angesammelte Tage ausgezahlt bekommen, das Unternehmen weigerte sich. Ihr Urlaubsanspruch sei verjährt, so dessen Argumentation. Der Fall ging durch die Instanzen, bis nun der Europäische Gerichtshof zugunsten der Frau entschieden hat.
Dabei versuchen sich viele Unternehmen abzusichern und schreiben im Arbeitsvertrag und/oder an anderer Stelle fest, dass Urlaub im laufenden Jahr genommen werden müsse. Wer das nicht macht, lässt seinen Urlaub verfallen, so eine häufige Regelung. Ebenfalls oft anzutreffen sind Vorschriften, nach denen nur in Ausnahmefällen Urlaub ins neue Jahr übertragen werden kann und dann in den ersten drei Monaten genommen werden muss. Welche Regelung auch immer Unternehmen getroffen haben, Personalabteilungen tun gut daran, das neue Urteil zu studieren bzw. sich entsprechend beraten zu lassen. Denn im Kern hat das Gericht geurteilt, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten explizit und individuell auf einen möglichen Verfall hinweisen müssen und zwar rechtzeitig. Ein Satz im Arbeitsvertrag dürfte also nicht ausreichen und eine allgemeine Rundmail Mitte Dezember wohl auch nicht.
Vielmehr müssen künftig Beschäftigte über ihren individuellen Resturlaub – so vorhanden – und dessen drohenden Verfall informiert werden. Und zwar so rechtzeitig, dass sie diesen auch noch nehmen können. Das Gericht hat auch verneint, dass die allgemeine Verjährungsfrist für Rechtsansprüche – sie beträgt in Deutschland drei Jahre – greift. Deshalb muss der Arbeitgeber im verhandelten Fall tatsächlich die nicht genommenen Urlaubstage ausgleichen. Laut Urteil hat er seine Hinweis- und Mitwirkungspflichten verletzt und könne sich daher auch nicht auf die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren berufen.
Nach der Einschätzung zahlreicher juristischer Beobachter kam dieses Urteil nicht überraschend, sondern liegt im Gegenteil auf der Linie des Gerichts in Sachen Schutz des Urlaubsanspruchs von Beschäftigten. So hatte der Europäische Gerichtshof bereits 2018 entschieden, dass ein Beschäftigter, der sogar schriftlich darum gebeten worden war, dass er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Resturlaub nehmen solle, dennoch Anspruch auf finanziellen Ausgleich für 51 nicht genommene Urlaubstage hat. Grund: Der Beschäftigte war ohne Fristsetzung hingewiesen worden und hatte zudem, wohl in Reaktion auf den allgemeinen Hinweis, zwei einzelne Urlaubstage genommen – aber 51 blieben eben noch übrig. In einem anderen Fall war ebenfalls bereits 2018 entschieden worden, dass der Anspruch aus nicht abgegoltenen Arbeitstagen sogar vererbt werden kann. Und auch bei mehrere Jahre kranken Beschäftigten verfallen Urlaubsansprüche nicht automatisch: Hier hat der Europäische Gerichtshof kürzlich zwei Verfahren entscheiden und dabei zwar festgestellt, dass eine Begrenzung des Urlaubsanspruchs bei langer Krankheit zwar zum Schutz des Unternehmens rechtens ist – die bisher in Deutschland geltende Regelung, dass Ansprüche in diesem Fall automatisch nach 15 Monaten verjähren, wurde aber gekippt, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflichten, also den Hinweis auf den Verfall, verabsäumt. Dann können Urlaubsansprüche aus der Zeit vor der Krankheit auch noch nach Jahren geltend gemacht werden.