Gleichzeit studieren und gestalten
Ein deutschlandweit bislang einmaliges Angebot zur Weiterbildung finden Fach- und Führungskräfte in der Agrar- und Ernährungsbranche an der Universität Göttingen: den berufsbegleitenden Studiengang MBA Agribusiness. Er bereitet Nachwuchstalente darauf vor, Team- und Personalverantwortung zu übernehmen.
Im Wintersemester 2020/21 startete der „MBA Agribusiness“ an der Fakultät für Agrarwissenschaften in das zweite Studienjahr. Angestoßen aus der Politik und gefördert vom Bundesbildungsministerium, wurde das Angebot von 2016 bis 2019 im Rahmen des Projektes „Agri-Career.NET – Netzwerk für Agrarkarrieren“ entwickelt. Der MBA ist nun Regelangebot, für das jedes Jahr 25 Plätze bereitstehen. Bewerben können sich Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Quereinsteiger, die ein Studium absolviert und zwei Jahre Berufserfahrung haben. Ziel ist die Qualifikation für Managementaufgaben.
Nach Universitätsangaben verbindet der Studiengang Anforderungen der Unternehmenspraxis mit einem wissenschaftlichen Studium, vertieft ökonomisches Wissen sowie Managementkenntnisse. Die Mischung aus Online- und Präsenzveranstaltungen ist modular aufgebaut, um ein zeitlich und räumlich flexibles Studium zu ermöglichen. Trotzdem sind die Anforderungen hoch, die Universität empfiehlt, 15 Stunden pro Woche für das Selbststudium einzuplanen. Hinzu kommen Präsenzveranstaltungen, pandemiebedingt derzeit online.
Für die Masterarbeit können Themen aus dem persönlichen Arbeitsumfeld bearbeitet werden. Nicht zuletzt müssen fast 20000 € Studiengebühren in mehreren Tranchen bezahlt werden. Professor Achim Spiller, Lehrender und Studiengangsverantwortlicher, sagt: „Es ist für den Agrarsektor sicherlich neu, dass ein Studium Geld kostet. Unsere Teilnehmer*innen arbeiten weiterhin Vollzeit, haben keine Verdiensteinbußen – und für die Zukunft gute Karrierechancen. Häufig beteiligen sich Arbeitgeber an den Kosten.“ Beginn ist zum Wintersemester, es ist möglich, einzelne Module oder Zertifikatskurse zu buchen.
Carsten Puth aus dem Bergischen Land hat im Oktober 2019 mit dem MBA Agribusiness begonnen. Er arbeitet seit 29 Jahren bei Bayer Crop Science und hat schon sein Bachelor-Studium Landwirtschaft und Agrarmanagement per Fernstudium absolviert. „Damals bin ich an den Wochenenden im Semester 480 Kilometer einfachen Weg gefahren, im Jahr rund 28000 Kilometer – das war ein immenser Aufwand.“ Jetzt beim MBA schätzt er die gut strukturierten, siebenwöchigen Module als „optimalen Rahmen für Kontakte zu Professoren, Kommilitonen und für die Lerninhalte. Ich kann auch im Urlaub oder auf Dienstreisen auf die Lerninhalte zugreifen und an den Online-Webinaren teilnehmen, das verschafft mir eine hohe Flexibilität und gute Planungssicherheit.“ Trotzdem bleibt der Aufwand natürlich hoch und deshalb lautet sein Rat für andere Studierende, die den MBA absolvieren wollen: „Unbedingt Familie und Freundeskreis in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Denn die müssen mitziehen und Entbehrungen aushalten.“ Sein Arbeitgeber unterstützt ihn zwar nicht finanziell, erkennt aber sein Engagement an und gibt Puth dafür während des Studiums fünf Tage Bildungsurlaub pro Jahr. Carsten Puth hat auch ein klares Ziel vor Augen: Der MBA soll ihn darauf vorbereiten, Team- und Personalverantwortung zu übernehmen sowie neue berufliche Aufgabenfelder.
Ann Börries leitet beim Biogasanlagenhersteller Weltec Biopower aus Vechta den Bereich Marketing und PR und war kurz vor Weihnachten noch mit letzten Arbeiten an ihrer Masterarbeit beschäftigt. Börries hatte früher bereits über die Absolvierung eines MBA nachgedacht, sich damals aber „wegen der Distanz zur Uni und der Organisation des Lehrplans dagegen entschieden“. In Göttingen wollte sie nur einen Kurs belegen, aber „die Mischung aus wissenschaftlichen Arbeiten und Praxisnähe sowie der vielfältige Austausch mit Kommilitonen und Professoren haben mich überzeugt, den gesamten MBA durchzuziehen.“ Rückblickend gefällt ihr der hohe Praxisbezug gut. Für den MBA neben Beruf und Privatleben brauche es „eine Menge Selbstdisziplin“, so Börries, „aber Aufwand und Stress lohnen sich, das Wissen und Netzwerk möchte ich nicht missen“.
Flexibilität und Verständnis der Uni für ihre berufstätigen MBA-Studierenden lobt Lutz Rummeny, ebenfalls einer der ersten Teilnehmer und derzeit an seiner Masterarbeit. Er ist 2011 als Trainee zu Agravis gekommen, übernommen worden und handelt dort nun mit Brotweizen und Braugerste. Er wolle seine praktischen Kenntnisse der Branche erweitern, sagt der studierte Volkswirtschaftler Rummeny zur Motivation. „Das Studium bringt mich persönlich weiter, hilft aber auch dem Unternehmen“, sagt Rummeny. Auch er findet die Doppelbelastung durch Studium und Beruf hoch, aber machbar. „Dadurch, dass wir uns für einen bestimmten Zeitraum auf ein Thema konzentrieren konnten, war es möglich, mir meine Zeit flexibel einzuteilen und auf Arbeitsspitzen auszurichten.“ Rummeny hat zum Beispiel im arbeitsärmeren Winter mehr Module bearbeitet, so konnte er die hohen Arbeitsspitzen während der Ernteperiode besser meistern. Allerdings: Die Präsenz-Veranstaltungen möchte er keinesfalls missen: „Ich finde es wichtig, mich mit den anderen Studierenden zu vernetzen und auszutauschen.“ Er lobt zudem die hohe Qualität der externen Referenten, die beispielsweise Themen wie „Milchwirtschaft“ unterrichten.
Professor Oliver Mußhoff von der Abteilung Landwirtschaftliche Betriebslehre in Göttingen sagt, vom Inhalt her gebe es keine größeren Unterschiede zwischen seinem MBA-Modul und den Modulen im normalen universitären Vorlesungsbetrieb. Im MBA sind die Inhalte aber zeitlich anders, kompakter strukturiert und haben stärkeren Praxisbezug. Dazu tragen die Gastvorträge bei: „Die Studierenden sollen so besonders für die Lehrinhalte motiviert werden und die Praxisrelevanz verstehen. Die Experten geben speziell in meinem Modul auch Hinweise auf Fördermöglichkeiten im Bereich der Agrarkreditfinanzierung et cetera.“ Durch mehr Kleingruppenarbeiten sei die MBA-Arbeit intensiver. Die Teilnehmer*innen im MBA-Studium seien sehr motiviert und wissbegierig. Das macht für die Lehrenden besonders Spaß.