Trotz Corona Azubis finden

Um elf Prozent ist die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge 2020 laut Arbeitsagentur zurückgegangen – der höchste Wert seit Beginn des Jahrtausends. Zwar gab es 2002 oder 2009 mit jeweils über acht Prozent Rückgang ähnlich hohe Werte, aber Corona hat die Suche nach Fachkräfte-Nachwuchs offenbar doch deutlich erschwert. Selbst wenn die Pandemie nun auf dem Rückzug ist – die Azubi-Suche bleibt schon aus demographischen Gründen eine Herausforderung.
Veröffentlicht am 04.08.2021
Trotz Corona Azubis finden

Auf Platz eins der Berufe mit einem hohen Anteil unbesetzter Stellen steht aktuell der/die Fleischer/in. Etwa seit dem Ausbildungsjahr 2009 wird generell die Schere zwischen unbesetzten Ausbildungsplätzen und unversorgten Bewerbern und Bewerberinnen in Deutschland stetig größer, während es im Jahrzehnt davor meist mehr Bewerber als Stellen gab. Im letzten Ausbildungsjahr 2020 blieben zwar laut Arbeitsagentur gut 29.000 junge Menschen ohne Lehrstelle, aber die Zahl der unbesetzten Stellen lag mit fast 60.000 mehr als doppelt so hoch. Ergo: Betriebe, die Azubis suchen, müssen sich anstrengen; und dies umso mehr, wenn die Berufe, die sie ausbilden, nicht zu den gesuchtesten gehören. Oder der Ruf ihrer Branche schlecht ist oder der Standort des Betriebs. Auf Unternehmen aus der Agrarbranche treffen oft mehrere dieser Nachteile zu: Sie sind häufig in Regionen angesiedelt, die junge Leute unattraktiv finden, die möglicherweise gar von Abwanderung geprägt sind. Die Branche kämpft mit ihrem Image und die angebotenen Tätigkeiten sind nicht weit vorne in der Liste der beliebtesten Berufe.

Egal, ob Klischees zutreffen oder nicht, wer mit Vorurteilen konfrontiert ist, muss versuchen, diese zu zerstreuen. Denn angesichts der demographischen Entwicklung und des zunehmenden Fachkräftemangels gehen die Vorurteile zulasten der Betriebe, die Personal suchen. Die allermeisten jungen Menschen finden einen Ausbildungsplatz und müssen sich wenige Gedanken darüber machen, in welchem Betrieb. Für Unternehmen sind Azubis wichtig, denn den Bedarf an Fachkräften selbst auszubilden ist eine gute Alternative zur Suche nach ihnen. Also müssen Betriebs sich selbst attraktiv für die jungen Menschen machen. Aber das reicht noch nicht, denn es nützt nichts, wenn Vorurteile dazu führen, dass der Nachwuchs diese Attraktivität nicht wahrnimmt und sich bewirbt. Also muss kommuniziert werden und schon dreht es sich Eigenwerbung, Azubimarketing oder modern: Employer Branding. Dessen Methoden lassen sich nicht nur für die Suche nach Fachkräften einsetzen, sondern auch für die Nachwuchssuche – müssen aber angepasst werden, um wirksam zu sein.

Bevor Sie Ihr Unternehmen vorstellen können oder gar ins Bewerbungsverfahren starten, müssen Sie also in Kontakt mit jungen Menschen kommen. Klar gibt es dafür bewährte Möglichkeiten wie Schulveranstaltungen und Ausbildungsmessen, auch die Vermittlungen von Arbeitsagentur, IHKen oder Handwerkskammern. Natürlich werden Sie Stellen ausschreiben. Aber das Standardprogramm reicht nicht. Treffen Sie die jungen Menschen dort, wo die sich aufhalten, und das sind zwar auch noch Einkaufsstraße, Sportplatz oder Musikveranstaltungen (soweit es die Pandemie zulässt), aber es ist immer die Online-Welt. Egal, wo die jungen Menschen physisch sind, online sind sie (fast) immer. Und bevor Sie nun hektisch eine Azubi-Seite für ihren Betrieb auf Facebook aufbauen – ist denn das noch zeitgemäß? Oder bieten nicht längst Instagram, TikTok, Youtube oder Snapchat bessere Möglichkeiten, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen und dort einen positiven ersten Eindruck zu hinterlassen? Für welche Plattform Sie sich entscheiden, agieren Sie dort attraktiv, aber authentisch. Stellen Sie die positiven Seiten von Beruf, Branche und Betrieb heraus, lassen Sie vielleicht Auszubildende aus dem zweiten oder dritten Lehrjahr erzählen, warum sie bei Ihnen eine spannende und lohnende Ausbildung machen. Wichtig beim Erstkontakt ist nicht eine möglichst große Informationsfülle, sondern ein hoher Attraktivitätsfaktor. Zu trockenen Informationen oder dem Bewerbungsformular reichen Links. Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des Instituts der deutschen Wirtschaft bietet einen Selbsttest, mit dem Unternehmen herausfinden können, welche Plattform für ihre Zwecke geeignet ist. https://www.kofa.de/fileadmin/Dateiliste/Publikationen/Selbsttest/Social_Media.pdf

Auch Kooperationen mit Schulen oder kürzere Praktika lassen sich online organisieren, das kann sogar Ihre Wahrnehmung als moderner Arbeitgeber verbessern. Wichtig ist dann aber, dass Sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur berieseln, sondern durch praktische Aufgaben aktivieren. Dass Sie in Kontakt bleiben und aktiv auf die jungen Leute zugehen, Interesse an ihnen signalisieren. Kofa hat Tipps für ein Online-Praktikum: https://www.kofa.de/mitarbeiter-finden-und-binden/mitarbeiter-binden/corona-virus-tipps-fuer-kmu/ausbildung/online-praktikum

Ihre Bemühungen um den Fachkräftenachwuchs sollten nicht mit der Unterzeichnung des Ausbildungsvertrags enden. 2019 wurden laut Arbeitsagentur fast 27 Prozent aller unterschrieben Verträge wieder aufgelöst, ein seit 2010 fast kontinuierlich steigender Wert. Es ist also wichtig, auch nach Ausbildungsbeginn bzw. Vertragsunterzeichnung die jungen Leute noch zu begleiten, beispielsweise durch eine Lotsin, einen Coach oder einen anderen Partner im Betrieb.

Und denken Sie darüber nach, solchen Menschen eine Chance auf eine Ausbildung zu geben, die aus irgendwelchen Gründen auf den ersten Blick nicht geeignet erscheinen. Laut DIHK haben von 2016 bis 2018 jeweils rund 70 Prozent der Unternehmen gesagt, sie hätten Ausbildungsplätze nicht besetzt, weil die Bewerber nicht geeignet gewesen seien. Das kommt vor, aber in diesem Ausmaß? Oder ist es nicht vielleicht auch eine Frage, welchen Menschen eine Chance gegeben wird? Gerade im Corona-Schuljahr haben die Noten vieler Schülerinnen und Schüler gelitten. Aber die Kompetenzen eines Menschen sind in Noten nie vollständig wiedergegeben. Vielleicht können Sie durch Programme wie Einstiegsqualifizierung oder Assistierte Ausbildung Nachwuchs finden. Viele Kammern haben auch Kooperationen mit Flüchtlingseinrichtungen oder migrantischen Communities und erschließen so ein vielfältiges Potenzial an Fachkräftenachwuchs aus Bereichen der Gesellschaft, die eine Ausbildung im Agrarsektor nicht ganz vorne auf der Liste ihrer Möglichkeiten haben.